Länger Zuhause. Gängelei oder Chance?

15. Dezember 2022

Die neue Kälberhaltungsverordnung zwingt Landwirte ab 1. Januar 2023 ihre Kälber doppelt so lange als bislang auf dem Hof zu behalten. Chance oder publikumswirksame „Gängelei“? Was können Landwirte tun? Genau darum soll es in meinem heutigen Blogbeitrag gehen.

Foto: Förster-Technik GmbH

Wie ein Paukenschlag schlug im letzten Jahr die Nachricht ein, dass in Zukunft die neugeborenen Kälber nicht mehr nach 14 Tagen, sondern erst nach 4 Wochen den Hof verlassen dürfen. Landwirte und Tierärzte wurden davon relativ unvorbereitet überrascht, da die Gesetzesinitiative im „Sommerloch“ der Politik kritiklos „durchgeboxt“ wurde. Zwar war der Tierärzteverband mit einer Novelle zur Verbesserung der Transportgesundheit in die Planungen mit eingebunden, aber die Geschwindigkeit der praktischen Umsetzung trifft die meisten Betriebe unvorbereitet.

Aus der Not eine Tugend machen.
Jammern nützt an dieser Stelle damit leider nicht mehr. Es geht nun darum, das Beste aus dieser Situation zu machen, die im Grunde ja einen ehrbaren Kern hat, nämlich die Kälbergesundheit generell zu verbessern.

Was können die betroffenen Landwirte also tun, um neben der Mehrarbeit nicht noch mehr Verluste einzufahren? Aus der Not eine Tugend zu machen.

Ein halber Liter Kolostrum mehr wirkt Wunder.
Es wird in Zukunft darauf ankommen, die Kälber so kostengünstig wie möglich noch 2 weitere Wochen auf dem Betrieb zu halten, ohne dass die Gesundheit jedoch im wahrsten Sinne des Wortes „Schaden nehmen“ wird. Das bedeutet im Grunde, dass Landwirte, Futterberater aber auch Tierärzte noch mehr Fokus auf das Biestmilchmanagement legen müssen als bisher. Denn gutes Kolostrum ist der „Haupthebel“ in der Gesunderhaltung und damit so etwas wie die wichtigste Lebensversicherung in den ersten Lebenswochen. Ein halber Liter mehr Erstkolostrum kann hier schon einen Rieseneffekt bewirken.

Volle fünf Tage Transitmilch schützt effektiv.
Aber auch die Transitmilch bekommt nun eine neue Bedeutung: Nach neuesten Studien der Cornell Universität weiß man, dass von den eminent wichtigen und dominierenden IgG Antikörpern des Erst- und Zweitgemelks nur bestenfalls in Summe 30 %1  aller verfügbaren IgG Antikörper absorbiert werden. Weitere 30-40 % aber wirken, neben den schon länger bekannten IgA, als lokale „Türwächter“ an der Darmwand ohne absorbiert zu werden. Füttert man die vollen fünf Tage die Transitmilch der Mutterkuh baut man einen unglaublich guten lokalen Abwehrwall auf und verlängert gleichzeitig die Halbwertzeit dieser Antikörper an der Darmwand um bis zu einer Woche. Wir gewinnen damit wichtige Zeit, um den in dieser Phase besonders gefährlichen Durchfallerregern die Stirn zu bieten. Jeder Tag zählt hier.

Paarhaltung verringert den Infektionsdruck.
Kälber in dieser Phase paarweise aufzustellen reduziert den sozialen Stress enorm. Man weiß aus neuesten Studien, dass „Einzelhaft“ meist einen größeren Risikofaktor darstellt, als erhöhter Infektionsdruck. In der Vergangenheit hatte man diesen Aspekt nicht auf dem Schirm und empfahl die Einzelhaltung als bevorzugte Isolationsmethode, um gegen gefährliche Krankheitserreger gewappnet zu sein. Immer mehr Landwirte jedoch, die sich bereits für die paarweise Aufzucht entschieden haben, sind begeistert und sehen die Vorteile schwarz auf weiß. Sie sehen nicht nur weniger Durchfälle, sondern beobachten, dass die Tiere sich gegenseitig animieren mehr zu fressen, ein besseres Immunsystem zu entwickeln und höhere Tageszunahmen zu erreichen.

Die energetische Versorgung rückt in den Vordergrund.
Energetisch besser versorgte Kälber sind weniger infektionsanfällig und damit gesünder als unter- oder knapp versorgte Kälber. So können Cryptosporidien auf vielen Betrieben ohne Medikamente, alleine durch intensive bzw. ad libitum Tränke in Schach gehalten werden.

In Zukunft werden durch die neue Verordnung frohwüchsige Qualitätskälber besonders nachgefragt werden, wohingegen „Mangelkälber“ immer schwerer zu vermarkten sein werden. Experten aus dem Viehhandel beziffern bereits jetzt schon den finanziellen Unterschied um etwa 50 Euro Mehrerlös für solche „stabilen“ Kälber.

Kälbergesundheit, als Tierarzt sehe ich die Chance.
Die Verantwortung und das Schicksal liegen damit leider in Zukunft nur noch in der Hand des Landwirts, ob er diesen „Zwang“ als Chance oder als lästige Pflichtübung begreift. Anfänglichen Mehrkosten und Mehraufwand kann er nicht mehr ausweichen, aber es gibt die Aussicht auch daraus Kapital zu schlagen.

Ich persönlich als Tierarzt sehe die Chance, dass wir durch diese neue Pflicht endlich mehr Fokus auf die Kälbergesundheit bekommen werden. Wir haben hier bei uns in der Kälberaufzucht immer noch großes Verbesserungspotential, und das nicht nur auf der weiblichen Seite.

Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut sich diesen – auf den ersten Blick unangenehmen Zwängen – als Herausforderung und Chance zu stellen. Ich glaube fest, dass es machbar und ökonomisch sinnvoll sein kann.

Euer Peter Zieger

 

 

Mit freundlicher Genehmigung von

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