Blauzungenkrankheit: Vorbeugen, wenn es ruhig ist

17. Oktober 2025

Die akuten Blauzungenfälle sind seltener geworden und trotzdem warnt Tierärztin Amelie Armbruster davor, sich in Sicherheit zu wiegen. In ihrer Region betreut sie mit einem großen Team hunderte Rinderbetriebe und sieht genau, wo das Virus seine Spuren hinterlässt. Warum Missbildungen bei Kälbern zunehmen, wie Gnitzen das Virus auch im Herbst noch übertragen können und wieso Impfungen nicht nur vor BTV schützen, erklärt sie im Gespräch.

Amelie Armbruster ist Fachtierärztin für Rinder und Oberärztin an der Tierklinik Gessertshausen und leitet dort seit 2019 die Außenstelle der Rinderfahrpraxis in Bayerdilling, Rain am Lech. An der Tierklinik sind insgesamt 77 Tierärzte tätig, davon sind allein 19 Rindertierärzte, die rinderhaltende Betriebe im Umkreis von etwa 80 km um die Tierklink herum betreuen. (Foto: Franziska Lingner)

Während es in anderen Regionen Deutschlands einige Ausbrüche der Blauzungenkrankheit gibt (FLI, Stand 22.09.2025), ist es in Schwaben derzeit vergleichsweise ruhig, was aktive Fälle der Blauzungenkrankheit (BTV) betrifft. „Aktuell haben wir kaum Virusnachweise und das ist sicher auch der guten Impfbereitschaft der Landwirte zu verdanken“, sagt Tierärztin Amelie Armbruster aus dem Regierungsbezirk. Sie ist Fachtierärztin für Rinder sowie Oberärztin an der Tierklinik Gessertshausen und leitet dort seit 2019 die Außenstelle der Rinderfahrpraxis in Bayerdilling, Rain am Lech. An der Tierklinik sind insgesamt 77 Tierärzte tätig, davon sind allein 19 Rindertierärzte, die rinderhaltende Betriebe im Umkreis von etwa 80 km betreuen. Doch Entwarnung hinsichtlich BTV will sie nicht geben: „Man darf sich nie zu sicher sein. Im Allgäu, wo wir nah dran sind, ist das Virus die ganze Zeit aktiv. Und Gnitzen werden vom Wind weitergetragen. Das Virus kann also jederzeit zu uns herüberkommen.“

Besonders im Fokus stehen derzeit nicht akute Krankheitsfälle, sondern die vermehrt auftretenden Missbildungen bei Kälbern, fast ausschließlich in ungeimpften Beständen. „Wir hatten Kälber mit schwersten Missbildungen, ohne Großhirn, mit zentraler Blindheit. Diese Tiere wussten nicht, wie man trinkt.“

Impfquote deutlich gestiegen

In den letzten zwölf Monaten wurden durch ihre Praxis rund 20.000 Kühe und Rinder grundimmunisiert. „Fast 50 Prozent der größeren Laufstallbetriebe haben geimpft, bei den kleineren sind es immerhin 25 bis 30 Prozent. Es ist zwar noch nicht die Hälfte, aber dafür, dass es aktuell keine Verbringungsvorteile für geimpfte Tiere gibt, finde ich die Quote gut“, betont die Tierärztin.

Ein Umdenken in der Region hinsichtlich der Impfbereitschaft kam insbesondere nach dem Umlauf von Videos aus Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen, die die teils dramatischen Auswirkungen des Virus zeigten: Milchverluste, Totgeburten, hohe Tierverluste. „Betriebe mit über 1000 Kühen hatten plötzlich keine Milch mehr und sie kam auch nicht wieder. Das hat viele Landwirte wachgerüttelt“, berichtet sie.

Im Frühjahr 2025 kamen dann deutlich mehr Betriebe, die ihre Tiere gegen BTV impfen wollten und zwar genau in der Zeit, als der Impfstoff knapp war. „Wir haben eine Liste geführt und wer impfen wollte, kam drauf. Wir haben das nacheinander abgearbeitet, als die Impfstoffe endlich da waren, zum Glück noch rechtzeitig vor der Gnitzensaison.“ Die Impfkampagne lief deshalb regional sehr strukturiert ab.

Impfung schützt

Ein Beispiel aus der Region zeigt, wie wichtig die Impfung ist: „Ein geimpfter Betrieb hatte später trotzdem einen Virusnachweis. Einige Kühe hatten Fieber, zwei waren schwerer krank, aber es gab keine Tierverluste, keine Aborte, keine Missbildungen und keinen dauerhaften Milcheinbruch. Das war ein großer Erfolg und spricht eindeutig für die Impfung.“ In ungeimpften Beständen dagegen sah es anders aus. Akute Fälle gab es wenige, nur ein Mutterkuhbetrieb hatte viele erkrankte Tiere. Besonders problematisch ist die Infektion der ungeborenen Kälber, die auch nach milden oder subklinisch verlaufenden Infektionen zur Geburt  missgebildeter, zum großen Teil nicht lebensfähiger Kälber führte. Subklinische Verläufe und untypische Symptome bzw. Krankheitsfolgen stellen alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen. „Es gibt immer wieder Kühe, wo man denkt, die müssen das Virus gehabt haben. Eine Kuh schuhte komplett aus, bei anderen wurde die Milch zeitweise weniger, die Kühe fraßen nicht gut. Aber die Landwirte machen dann aus Kostengründen oder wegen des Aufwands oft keine Diagnostik.“ Sie vermutet, dass BTV über den Winter durch die Bestände gegangen ist, allerdings sehr langsam, weil ja nicht viele Gnitzen aktiv waren. Trotzdem könnte das dazu geführt haben, dass die Tiere sich schon früh mit dem Virus auseinander gesetzt haben und daher schwere Ausbrüche jetzt im Sommer ausblieben.

Durch solche Feldinfektionen entsteht kein Herdenschutz in den ungeimpften Beständen. Für verlässlichen Schutz sollte auch in solchen Herden geimpft werden. Dabei weist sie auf folgende Beobachtung hin: „Wir hatten einen Bestand mit hohen Zellzahlen, jedoch keinen Virusnachweis, keine Grippe. Doch die Tiere hatten immer wieder Nasenausfluss, so dass der Landwirt sich dann doch für die Grippeimpfung entschied. Nach der Grippeimpfung sanken die Zellzahlen deutlich. Das ist ein Beispiel für Paraimmunität, das Immunsystem wird durch jede Impfung angeregt.“

Vorsicht vor neuen Serotypen

Während BTV-4 und BTV-8 durch frühere Impfungen bekannt sind, zirkuliert derzeit BTV-3, wogegen keine Kreuzimmunität besteht. „Tiere, die früher gegen BTV-4 und BTV-8 geimpft wurden, zeigen keine belastbare Immunität gegen BTV-3. Ende 2024 wurde in den Niederlanden mit BTV-12 schon wieder ein für Mitteleuropa unbekannter neuer Serotyp nachgewiesen, das verunsichert viele. Glücklicherweise zeigt dieser Stamm bisher keine weitere Ausbreitung.“

Die Tierärztin zeigt Verständnis für die Landwirte: „Viele fragen sich: Was kommt denn bitte als Nächstes, wogegen sollen wir noch impfen? Aber ich sage immer: Die Impfung stimuliert das Immunsystem und stärkt die Abwehrlage generell.“ Und das ist gut für die Tiere, denn die nächsten Erreger stehen schon symbolisch vor der Tür: EHD (Epizootische Hämorrhagie) und LSD (Lumpy Skin Disease) sind bereits in benachbarten Ländern aufgetreten. Die Virusübertragung erfolgt ebenfalls mit Gnitzen bzw. Mücken als potenzielle Vektoren. Und auch das Schmallenbergvirus kursiert noch in den Kuhbeständen, hier gibt es keine Impfung.

Maßnahmen gegen Gnitzen & Co.

Die Übertragung des Blauzungenvirus und anderer Krankheiten wie EHD und LSD erfolgt durch Gnitzen und Mücken. Stechende Insekten sind allgemein ein erheblicher Stressfaktor. Daher ist ein umfassendes Biosicherheitskonzept wichtig, besonders bei Weidehaltung. Amelie Armbruster empfiehlt Pour-on-Präparate mit Deltamethrin als ergänzende Maßnahme gegen stechende Insekten. „Einen echten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen erreicht man nur durch die Impfung. Aber diese Präparate können unterstützen. Allerdings ist das Aufbringen gerade in der Mutterkuhhaltung mit sehr viel Aufwand verbunden. Aber die Insekten sind eben vor allem auf der Weide aktiv.“

Impfstrategie 2026: Vorbereitung ist alles

Auch im Jahr 2026 bleibt die Impfung ein zentrales Element der Vorsorge. Die Grundimmunisierung erfolgt ab 4 Wochen und besteht aus zwei Injektionen im Abstand von 3 Wochen. Nachimpfung nach 12 Monaten, idealerweise vor dem Sommer, da Hitze und Impfung keine gute Kombination sind. Der Impfstoff ist gut verträglich. Grundsätzlich ist bei Herdenimpfungen eine gute Planung wichtig, um unnötigen Stress zu vermeiden. Ruhiger Umgang mit den Tieren bei solchen Impfungen, keine Klauenpflege, Transporte oder andere Aufregungen direkt davor. Die zu impfenden Tiere sollten rechtzeitig aussortiert und im Fressgitter fixiert werden. Bei AMS-/Roboterbetrieben nur mit wenigen Personen und ruhig arbeitend in den Stall gehen, um Stress zu minimieren.

„Fast alle Betriebe, die letztes Jahr geimpft haben, machen auch die Nachimpfung, das ist sehr erfreulich“, so die Tierärztin. Wichtig ist ihr noch, die Tiere nicht in eine Infektion hinein zu impfen und die Impfung nicht direkt vor dem Melken durchzuführen. Außerdem sollte immer der ganze Bestand geimpft werden, nicht nur die Kühe. Als Minimum empfiehlt sie, alle Tiere ab dem Besamungsalter ab 12 Monaten zu impfen.

Ihr Appell zum Schluss: „Ich weiß, es wirkt manchmal so, als hätten wir hier keine Probleme mit der Blauzunge. Aber genau deswegen sage ich: Impft trotzdem. Wir wollen das Immunsystem stärken und vermeiden, dass die Tiere völlig naiv in den nächsten Seuchenzug hineingehen. Jede Impfung kostet Geld, aber ein totes Kalb leider auch. In der Regel hat man die Impfkosten schon wieder raus, wenn ich nur ein Tier nicht verliere. Dieses Kosten-Nutzen-Denken muss noch mehr in der Rindermedizin ankommen. Vorbeugung lohnt sich gerade, wenn es scheinbar ruhig ist.“

Aktuell sind drei Impfstoffe gegen BTV-3 in Deutschland zugelassen. Sie reduzieren sowohl die Krankheitssymptome als auch die Virusvermehrung nach einer Infektion. Die Impfung ist derzeit die einzige effektive Schutzmaßnahme gegen schwere Krankheitssymptome.

Dr. Heike Engels

Biosicherheit

Ein Eintragsrisiko bzw. eine Weiterverbreitung des Blauzungenvirus besteht

  • durch die Ausbreitung lebender, infizierter Gnitzen mit dem Wind,
  • durch die Einschleppung infizierter Gnitzen mit dem Handel und Verkehr oder
  • durch den Handel mit infizierten Tieren.

Um allgemein einen Erregereintrag nach Möglichkeit zu verhindern, ist die Etablierung und die Einhaltung von Maßnahmen zur Biosicherheit auch im rinderhaltenden Betrieb sehr wichtig: Dazu zählen:

  • Betriebseigene Kleidung (Stiefel, Overalls) oder Einwegkleidung für Tierärzte und Besucher
  • Hygieneschleusen mit getrennten Bereichen für „unreine“ und „reine“ Kleidung
  • Hände vor und nach dem Stallbesuch gründlich waschen und desinfizieren, wozu Handwaschbecken, Mittel und Einwegtücher nötig sind
  • Desinfektion von Fahrzeugen, Werkzeug und Geräten
  • Trennung von gesunden und kranken Tieren
  • Absonderung von Tieren mit unbekanntem Gesundheitsstatus (Quarantäne, Krankenstall)
  • Minimierung des Kontakts zu fremden Tieren und Personen (Beschilderung:

„Wertvoller Tierbestand, Betreten verboten!“)

  • Schadnager- und Schädlingsbekämpfung
  • Einzäunung des Betriebs
  • Lagerung von Tierkadavern für die Abholung möglichst an der Grundstücksgrenze
  • jedem Kalb seinen eigenen Nuckel und Tränkeeimer
  • sorgfältige Dokumentation

 

Blauzungenkrankheit (BTV)

Die Blauzungenkrankheit ist eine durch das Bluetongue-Virus (BTV) verursachte Erkrankung bei Wiederkäuern. Übertragen wird das Virus durch Gnitzen, das sind blutsaugende Mücken der Gattung Culicoides. Besonders Schafe, aber auch Rinder, Ziegen, Neuweltkameliden und Wildwiederkäuer können klinisch erkranken.

Aktuell sind mindestens 24 Serotypen bekannt. In Deutschland wurde im Oktober 2023 erstmals seit Jahren wieder BTV-3 bei Schafen nachgewiesen, im Mai 2024 folgten die ersten Fälle bei Rindern. Seitdem gilt bundesweit der Status „frei von Blauzungenkrankheit“ als aufgehoben.

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