Bei Weidehaltung die Spurenelemente im Blick haben

29. März 2022

Extensive Weidehaltung von Mutterkühen ohne Zufütterung von Kraftfutter ist eine Haltung so nah an der Natur wie nur irgend möglich. Doch ist das einfach so umsetzbar? Ja, wenn einige wichtige Punkte wie etwa die Spurenelementversorgung gesichert sind. Doch wie weiß man, dass die Tiere gut versorgt sind? Der Brockenbauer im Oberharz nimmt an einer Studie der Hochschule Sachsen-Anhalt teil, um genau diese Frage zu klären.

Bei Weiderindern kann ein Spurenelement-Mangel vorliegen. Viele Standorte in Deutschland verfügen geologisch bedingt z.B. über zu wenig Selen. Foto: Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH

Friedlich grasen die rotbraunen Kühe mit ihren Kälbern auf der Weide. Hinter ihnen erstrecken sich die sanften Höhenzüge des Oberharzes. Plötzlich kommt Aufregung in die Herde, lautes Muhen ist zu hören, die Tiere recken die Köpfe. Zwei Männer öffnen den stromführenden Steckzaun und treiben weitere Kühe zur bestehenden Herde. Die Tiere treffen aufeinander, laufen ein Stück gemeinsam über die Wiese, die Kälber vollführen kleine Bocksprünge und toben umher.

Julia Thielecke steht am Rand der Weide und beobachtet das Schauspiel. „Wir treiben gerade alle Tiere von den unterschiedlichen Weiden zusammen, denn für den Winter, der hier im Harz sehr schneereich sein kann, müssen wir die Tiere sammeln und ins Winterquartier nach Königshütte bringen. Dort können wir sie in einer ehemaligen LPG-Anlage mit angrenzenden Weideflächen gut versorgen“, erklärt die junge Landwirtin. Sie ist die Tochter des „Brockenbauers“ Uwe Thielecke, der vor knapp 25 Jahren in Tanne, Sachsen-Anhalt, die heute als Biobetrieb zertifizierte Rinderzucht zusammen mit seiner Frau Susann gründete. Schwerpunkt im Betrieb ist die Zucht des Roten Harzer Höhenviehs. Angefangen hat alles mit einem Kuhkalb namens Elsa, welches Susann Thielecke ihrem Mann Uwe zum 30.sten Geburtstag schenkte. Mit diesem Kalb entstand die Liebe der Familie Thielecke zur Rasse Rotes Höhenvieh – heute stehen über 550 Tiere auf den Harzer Weideflächen und der Brockenbauer gilt als der größte Zuchtbetrieb für Rotes Höhenvieh weltweit. Das Rote Höhenvieh und die Harzer Bergwiesen passen wunderbar zusammen. Durch die Beweidung blühen die Bergwiesen wieder auf, denn die extensive Viehhaltung erhöht die Artenvielfalt auf den Weideflächen. Die aufwendige Landschaftspflege in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Harz ist ein wichtiges Standbein des Brockenbauers.

Harz ist Selenmangelgebiet

Um die Tiere besser kontrollieren zu können, grasen immer etwa 25 Kühe mit einem Bullen und der Nachzucht auf einer Weidefläche. Insgesamt kommen Thieleckes so auf rund 20 Herden während der Weidezeit, 600 Hektar insgesamt, die täglich angefahren und versorgt werden müssen. Ist eine Weide abgegrast, zieht die Herde auf eine neue Weide um. „Weiden einzäunen, Tiere umtreiben, Wasser nachfüllen, Geburten überwachen, Ohrmarken bei neugeborenen Kälbchen einziehen – es gibt ständig etwas zu tun“, zählt Julia Thielecke die anfallenden Arbeiten auf. „Das ist sehr arbeitsintensiv, in der Hochzeit der Kalbesaison von Mai bis Juni könnte der Tag gerne mehr als 24 Stunden haben“, lacht die junge Landwirtin.

Die ausschließliche Gras- und Kräuterfütterung bietet für die Tiere nur dann genug Energie, wenn sie viel fressen, weshalb sie ein sehr gutes Futteraufnahmevermögen haben müssen, um ausreichend versorgt zu sein. „Das Rote Höhenvieh sieht deswegen immer tragend aus, obwohl dem natürlich nicht fortwährend so ist“, erklärt Julia Thielecke. „Der Bauch ist durch das viele Futter extrem rund. Wir füttern nichts hinzu, kein Kraftfutter, die Tiere fressen ausschließlich das, was sie auf der Weide finden. Das Rote Höhenvieh kommt gut damit klar, aber aufpassen müssen wir mit den Spurenelementen. Der Harz gilt als Selenmangelgebiet, was bedeutet, dass der Grasaufwuchs nicht genug Selen enthält. Wir haben das gemerkt, als sich bei den Kühen vor einigen Jahren die Nachgeburtsverhaltungen häuften. Eine Futteranalyse ergab, dass der Mineralstoffgehalt in Ordnung war, aber es eben an Selen fehlte. Selen kann nur über Zusatzfuttermittel zugeführt werden. Wir besorgten daraufhin Lecksteine, die Selen enthielten, und damit war erst einmal alles wieder gut“, erinnert sich die Landwirtin.

Gerade bei Weiderindern kann häufiger ein Mangel an Spurenelementen vorliegen, denn viele Standorte in Deutschland verfügen geologisch bedingt über zu wenig Selen, was dann dazu führt, dass die Tiere über den Futteraufwuchs nicht ausgewogen versorgt sind.

Studie der Hochschule zur Selenversorgung

Durch die trockenen Sommer der letzten Jahre litt allerdings die Futterqualität, so dass wieder gesundheitliche Probleme auftraten. „Nicht alle Tiere gehen oft genug an die Leckschalen, um eine optimale Versorgung zu garantieren“, weiß der betreuende Tierarzt Dr. Henning Reimer aus Huy bei Halberstadt. Just in dieser Phase trat die Hochschule Sachsen-Anhalt auf sie zu, die Mutterkuhbetriebe für ein Projekt rund um die Spurenelementversorgung suchte.  Thieleckes entschieden sich sofort für die Teilnahme und so wurden 10 ihrer Kühe zu „Projektkühen“. Bei diesen Kühen wurde zu Beginn des Versuchs der Gehalt an Selen in der Leber mittels Leberbiopsie ermittelt. Dieser Wert lag im unteren Normbereich. Dann wurden die Kühe gewogen und erhielten im April 2021 jeweils 2 Langzeit-Boli. Diese Boli von Boehringer Ingelheim bestehen aus gesintertem Glas und geben über ihre Oberfläche über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten konstante Mengen Selen, Kupfer sowie Kobalt ab. Für die Eingabe steht ein spezieller Eingeber zur Verfügung, mit dem beide Boli auf einmal verabreicht werden können. Die Spurenelemente werden in dieser Zeit kontinuierlich an den Organismus abgegeben. Der Bolus ist als Arzneimittel zugelassen, dabei konnte seine Wirksamkeit geprüft und bestätigt werden.

„Die Eingabe der Boli haben wir selbst gemacht. Zuerst hatte ich Respekt vor dem Eingeber, aber letztlich war die Eingabe sehr einfach“, erzählt Julia Thielecke. Seitdem nehmen die Forscher im Rahmen des Projektes monatlich Futter- und Kotproben, um die Selenversorgung zu verfolgen. Zur Wintereinstallung sollen die Kühe wieder gewogen werden und eine Leberbiopsie soll die genaue Selenversorgung zeigen. Zum Vergleich stehen 15 Nicht-Boli-Kühe in derselben Herde unter gleichen Bedingungen, die auch beprobt werden. „Obwohl das Projekt noch läuft und erst wenige Zwischenergebnisse vorliegen, können wir als erstes Fazit sagen, dass wir mit der Wirkung der Boli sehr zufrieden sind. Die Tiere ohne Boli lagen beim Selengehalt in diesem Sommer weit unter dem Sollbereich. Mangelsymptome haben wir nicht gesehen, das ist ja das Kritische bei Spurenelementmangel – es gibt keine spezifischen Symptome, an dem man diesen erkennen kann. Das Rote Höhenvieh als extensive Rasse ist zudem scheinbar besonders gut in der Lage, Mangelsituationen irgendwie auszugleichen.“, sagt Julia Thielecke. „Ich bin gespannt auf die weiteren Ergebnisse. Schon jetzt überlegen wir allerdings, allen Kühen zur nächsten Weidesaison die Spurenelement-Boli einzugeben.“

Charakter ist Selektionskriterium

Thieleckes achten sehr darauf, ihre Tiere nicht zu überfordern. Das früheste Erstkalbealter der Färsen liegt bei 30 Monaten, 36 Monate sind es im Durchschnitt. „Wir haben festgestellt, dass wir auf diese Weise die Kühe sehr lange halten können. Unsere älteste Kuh war 23 Jahre alt und hatte mit 22 Jahren noch ein Kalb, und unsere aktuell älteste Kuh ist 18 Jahre und hat gerade ihr 15. Kalb bekommen“, erklärt Julia Thielecke. „Die alten Kühe sind für uns von sehr hohem Wert, denn sie bringen Ruhe in die Herden und kennen sich zudem auf den Bergwiesen gut aus, wissen, wo die Tränken sind oder wo es zur nächsten Weide geht. Das ist uns eine große Hilfe, denn die Jungkühe müssen sich erst einmal an alles gewöhnen.“ Jedes Jahr kommen etwa 50 neue Kühe in die Herde, das sind etwa 25 % der weiblichen Nachzucht. Der restliche Nachwuchs geht in die Schlachtung. „Als Selektionskriterium ist bei uns der Charakter der Kühe am wichtigsten“, so die Landwirtin. „Wir benötigen liebe und friedliche Kühe, die mich auf der Weide an ihr gerade geborenes Kalb lassen, um die Ohrmarken einzuziehen, oder um dem Kalb zu helfen an die Biestmilch zu gelangen, falls mal irgendetwas nicht so rund läuft bei der Geburt. Ist eine Kuh in einer solchen Situation aggressiv, scheidet sie aus der Zucht aus. Das ist sonst zu gefährlich.“

Das ganze Tier verwerten

Das Fleisch vermarktet die Familie als vorbestellte Fleischpakete an Kunden in ganz Deutschland. „Wir verwerten immer das ganze Tier, deshalb ist in den Fleischpaketen eine bunte Mischung enthalten. Das Filet geht fast ausnahmslos in die eigene Gastronomie. Die Harzer Bergwiesen sind sehr artenreich, es wachsen neben dem Gras auch viele Kräuter. Selbst das Winterfutter stammt von hier. Das Fleisch des Roten Harzer Höhenviehs ist deshalb ganz besonders schmackhaft“, erklärt Julia Thielecke.

Die Arbeit wird von vielen Schultern getragen, denn die ganze Familie steht hinter dem Betrieb: Ihre Eltern Susann und Uwe sowie ihre Zwillingsschwester Sarah und ihr Schwager Marvin betreibt die hofeigene Fleischerei. Den Schritt zur eigenen Fleischerei ging die Familie, als klar wurde, dass auch die Töchter in den Betrieb einsteigen möchten. Außerdem wollten sie den Transportstress für die Tiere vermeiden. Mit der ebenfalls zu dem Zeitpunkt gegründeten Erlebnis-Gastronomie mit kleinem Streichelzoo ist für die drei Familien eine Zukunftsperspektive geschaffen. Und sie können das Leben führen, was sie schon immer wollten: Mutterkühe auf der Weide, alles aus einer Hand, von der Geburt der Tiere bis zur Verarbeitung.

 

Selen: Geringe Dosis mit großer Wirkung

Selen ist ein essenzielles Spurenelement. Diese sind nur in geringer Menge notwendig, für wichtige Stoffwechselvorgänge jedoch unverzichtbar, zum Beispiel bei der Knochenbildung und -festigung sowie bei der Fruchtbarkeit. Selen hat einen wesentlichen Anteil am Aufbau des Immunsystems. Selenmangel führt zu einer erhöhten Infektanfälligkeit, so können z.B. Euterentzündungen häufiger auftreten, auch Leistungseinbußen und Fruchtbarkeitsstörungen. Selen schützt gemeinsam mit Vitamin E die Zellen. Eine Überdosierung von Selen muss man allerdings vermeiden, da diese ebenso gefährlich wie ein Mangel sein kann, deswegen ist eine gezielte und kontrollierte Selenversorgung so wichtig. Neben Selen zählen u.a. Kobalt, Molybdän, Eisen, Kupfer, Mangan, Zink und Jod zu den Spurenelementen.

 

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