Milchmarktkrise 4.0 – Was muss noch alles passieren, bis der Letzte aufwacht?

28. Juni 2023

Drei Marktkrisen in den letzten 15 Jahren allein im Milchbereich. Schaden allein für die Milchviehhaltung rund 16,4 Milliarden Euro durch entgangene Einkommen. Die Millionen für Hilfspakete, die Kosten für die Bezuschussung der Lagerhaltung und unter den Interventionskosten liegende Auslagerungspreise nicht mit eingerechnet. Die vierte Milchmarktkrise ist spätestens im vierten Quartal 2022 auf den Märkten für Milchprodukte angekommen: Die Preise für Milchleitprodukte haben sich nahezu halbiert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Milchviehhaltung sind in Gänze noch nicht absehbar. Fakt ist aber, dass immer mehr Molkereiauszahlungspreise nicht einmal mehr die Kosten für die Futterversorgung, Bestandsergänzung und Tierarztkosten in Höhe von aktuell rund 42,5 Cent/kg abdecken.

Die durch die Milchmarktkrisen entstandenen Wertschöpfungsverluste sind das eine, die kontinuierliche Unterdeckung der Erzeugungskosten das andere. In den Jahren 2007 bis 2022 beliefen sich die Verluste allein durch die kontinuierliche Kostenunterdeckung auf 45,1 Mrd. Euro. Da hilft auch nicht ein Jahr wie 2022, in dem – erstmals in den letzten 15 Jahren – eine Phase zu verzeichnen war, die im Durchschnitt den Betrieben gewinnbringende Milcherzeugerpreise ermöglicht hat. Es ist selbsterklärend, dass ein paar Monate Gewinn nicht drei Milchmarktkrisen in 15 Jahren ausgleichen können. Im Übrigen wurde bei den Verlusten in Höhe von 45,1 Mrd. Euro die Gewinne des Jahres 2022 schon in Abzug gebracht.

Ursächlich für die Milchmarktkrise 4.0 ist, wie bei allen vorhergehenden Krisen auch, ein zunehmendes Marktungleichgewicht. Die Milchanlieferungen liegen seit Mitte 2022 anhaltend über dem Vorjahresniveau, aktuell werden rund 2,5 Prozent mehr Milch angeliefert. Demgegenüber steht ein Rückgang der Nachfrage auf nationaler wie globaler Ebene, der sich in Summe auf rund 5 Prozent beläuft. Dass darauf der Markt mit deutlich zurückgehenden Notierungen reagiert, sollte jedem klar sein.

Kein Plan, keine Strategie, keine Reaktion!

Im Januar 2020 wurde von den Verbänden der Molkereiwirtschaft, vom Genossenschaftsverband und dem Bauernverband mit viel Getöse eine gemeinsam erarbeitete Sektorstrategie Milch vorgestellt. Auf Verlangen der damaligen Bundesagrarministerin Julia Klöckner haben sich die genannten Verbände zusammen mit dem BDM an den Verhandlungstisch gesetzt. Das Ziel sollte nach Vorstellung der Agrarministerin sein, sich mit einer gemeinsam getragenen Strategie aufzustellen, um gegen das Risiko neuer Marktkrisen gewappnet zu sein. In acht Arbeitsgruppen wurden neben Themen wie Branchenkommunikation, QM-Milch/Nachhaltigkeitsprogrammen etc. auch darüber beraten, wie aufziehenden Milchmarktkrisen entgegengewirkt werden kann. Wie nicht anders zu erwarten war, fanden die Inhalte der BDM-Sektorstrategie 2030 keinen Eingang in eine gemeinsame Strategie. Anerkannt wurde lediglich, dass der BDM-Vorschlag am weitesten in die Zukunft gerichtet wäre. Da für den BDM am Ende des Arbeitsprozesses sehr deutlich absehbar war, dass die Inhalte der Sektorstrategie Milch des Bauernverbandes und der Molkereiverbände keine wirkliche Zukunftsstrategie darstellten und er ohne Stimmrecht nicht in der Lage sein wird, daran etwas zu ändern, unterschrieb er nicht. Aufgegangen ist der Plan der anderen Branchenteilnehmer, der Politik zu suggerieren, „wir haben eine Strategie und einen Plan, um Marktkrisen entgegenwirken zu können.“
Diese Strategie entpuppt sich nun als Papiertiger. Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat sich, genauso wie ihre Vorgänger*innen, von der Molkereiwirtschaft mit vagen Versprechungen einwickeln lassen. Der Plan, sich durch ein möglichst hohes Milchangebot günstige Beschaffungskosten zu ermöglichen, geht für die Molkereiwirtschaft weiter auf.

Was ist sofort zu tun?

Nur mit einer schnellen „Markt“-Reaktion wäre eine Marktumkehr hin zur Wiedererlangung eines Marktgleichgewichts zu erreichen. Dazu bedarf es einer konzertierten Marktaktion. Wie schon in der Milchmarktkrise 2015/2016 geschehen, ist ein probates Instrument dazu, den Milchviehhaltern eine zeitlich befristete, freiwillige Reduzierung ihrer Milchanlieferung gegen eine finanzielle Ausgleichsleistung anzubieten. Die im BDM-Milchmarktkrisen-Managementkonzept vorgeschlagene zeitlich befristete verbindliche Reduzierung der EU-Milchanlieferung verfehlte aufgrund des großen Widerstands der Molkereiwirtschaftsverbände auf EU-Ebene ganz knapp die politische Mehrheit. Genau dieses Instrument wäre jedoch am wirkungsvollsten.

Was darf nicht wieder passieren?

In den vergangenen Milchmarktkrisen wurde viel zu viel und viel zu lange darüber diskutiert, ob es nur eine Marktdelle oder doch eine Krise ist. Man appellierte an das Marktverständnis des einzelnen Milchviehhalters, seine einzelbetriebliche Milchanlieferung zu verringern und glaubte an den guten Willen der Molkereiunternehmen, im Sinne der Milchviehhalter zu agieren. Alle Marktkrisen in den letzten 15 Jahren waren europäische bzw. globale Krisen. Insellösungen auf Mitgliedslandebene waren und sind daher nicht zielführend. Erst recht nicht erfolgsversprechend sind vermeintliche Lösungen auf einzelbetrieblicher Ebene oder auf Ebene von Milcherzeugergemeinschaften.

Was erwarten wir von den Agrarministerinnen und -ministern?

Sie müssen das Rad nicht komplett neu erfinden! In der Gemeinsamen Marktordnung sind Möglichkeiten verankert, die strikt darauf abzielen, den betreffenden Sektor zu stabilisieren (Art. 219 – 222), darunter fällt eine Marktrücknahme mittels eines freiwilligen Lieferverzichts gegen Ausgleichsleistung. Diese Maßnahme muss auf sechs Monate befristet werden, es besteht jedoch die Möglichkeit einer sechsmonatigen Verlängerung. Entgegen früherer Maßgabe müssen der Freischaltung dieser Marktrücknahme keine anderen Maßnahmen wie die private Lagerhaltung und staatliche Intervention vorausgehen.
Für den Einsatz dieses wirkungsvollen Marktkrisen-Instruments sollten sich die deutsche Ratsvertretung sowie sämtliche Bundesländervertretungen in Brüssel einsetzen. In der letzten Milchmarktkrise wurde dieses Instrument von Deutschland viel zu lange abgelehnt. Dieser Fehler darf nicht noch einmal passieren.

Was erwarten wir speziell vom Bundesagrarminister?

Mit dem Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen vom 05.05.2021 in der 19. Wahlperiode mit der Überschrift „Position der Milchbäuerinnen und -bauern in der Wertschöpfungskette stärken und Milchpreiskrisen effektiv vorbeugen“ wurden in 10 Punkten die notwendigen Weichenstellungen aufgezeigt. Nach dem Regierungswechsel 2021 und mit der Ernennung von MdB Cem Özdemir zum Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft erwarten wir aus dem BMEL bezüglich der Umsetzung der Forderungspunkte wesentlich mehr Engagement. Minister Özdemir sollte sich nicht in die Riege seiner Vorgängerinnen und Vorgänger Ilse Aigner (CSU), Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU) einreihen, die sich treu (oder blind) auf das Handeln der Akteure der Molkereiwirtschaft verlassen haben.

Weitere anstehende Aufgaben (mittel- und langfristig):
– Die bei der letzten Novellierung der GMO diskutierte Überlegung einer für alle verbindlichen, zeitlich befristeten Reduzierung der Milchanlieferung, die in der Abstimmung die Mehrheit nur knapp verfehlt hat, ist erneut auf die Tagesordnung der politischen Entscheidungsträger zu setzen.
– Ausbau des Sicherheitsnetzes für Agrarmärkte um Frühwarnsysteme mit darauf abgestimmten Marktanpassungsschritten in Verantwortung der Landwirtschaft
– Novellierung des Artikels 148 GMO dahingehend, dass auch für genossenschaftliche Milchlieferverhältnisse die verbindliche Vorgabe zum Abschluss von Verträgen mit konkreten Preis-, Mengen- und Qualitätsangaben zur Geltung kommt.
– Um den Bäuerinnen und Bauern/der Landwirtschaft zukünftig ein wirkungsvolles Marktmanagement in deren Verantwortung zu ermöglichen, ist der Art. 157 GMO zu novellieren. Die Landwirtschaft ist als eigenständige Branche anzuerkennen. Verbunden mit kartellrechtlichen Anpassungen könnte ein effizientes Marktmanagement mittels einer Branchenorganisation Landwirtschaft (Milcherzeugung) angestrebt werden.

Die Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter des BDM

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