Mineralstoffversorgung auf der Weide
Mineralstoffe und Spurenelemente sind zum ungestörten Ablauf physiologischer Vorgänge bei gesunden Tieren essentiell. Geringeres Wachstum bei Kälbern oder schlechte Fruchtbarkeit sind nur zwei Zeichen von Mangelerscheinungen. Wenn Tiere den Sommer über auf der Weide gehalten werden, hat man keinen Einblick in die Versorgung, da eine gezielte Einzeltierfütterung nicht möglich ist. Wie die Versorgung dennoch gesichert wird, darüber berichtet Dr. Günter Räder im Interview mit MilchPur.
MilchPur: Herr Dr. Räder, Sie sind in der Bioland-Beratung tätig. Wie sieht es mit der Mineralstoffversorgung auf den Bio-Betrieben vor Ort aus?
Dr. Räder: Die Mineralstoffversorgung ist auf den Betrieben sehr unterschiedlich geregelt. Am leichtesten ist eine Versorgung bei Weidebetrieb über hochdruckverdichtete Produkte zur freien Verfügung. Hierbei soll den Produkten mit einem relativ niedrigen Melasseanteil der Vorzug gegeben werden, gerade so viel Melasse, wie zum Pressen des Produktes notwendig ist. Interessanterweise nehmen die Weidetiere, zwar mit zeitlichen Schwankungen, eine optimale Menge auf. Mineralstoffe haben lange Stoffwechselzyklen, sodass eine unregelmäßige Aufnahme durch die Weidetiere unkritisch hingenommen werden kann. Es werden immer wieder Aborte mit Mineralstoffmangel in Verbindung gebracht, das ist ein Irrglaube. 99,9 % der Aborte sind nicht auf eine Mineralstoffunterversorgung zurückzuführen.
MilchPur: Welche Probleme sind im Zusammenhang mit einer Unterversorgung am häufigsten?
Dr. Räder: Eine Unterversorgung äußert sich eher unspezifisch. Im Normalfall reduziert sich die Fresslust der Tiere. Es gibt auch Mangelerscheinungen, die sich auf spezielle Spurenelemente zurückführen lassen, wie z.B. die Kupferbrille. Leider ist die Forschung zur Mineralstoffversorgung in den letzten beiden Jahrzehnten im Bereich der großen Wiederkäuer fast vollständig zum Erliegen gekommen, weil an den Universitäten fast keine Kuhherden mehr gehalten werden und so keine Versuchstiere (für diese Zwecke) zur Verfügung stehen. Interessant ist auch die Unterversorgung durch das Überangebot an anderen Elementen, bei dem z.B. Magnesium (Mg) nicht richtig über die Darmschranke aufgenommen wird, weil zu viel Calcium (Ca) in der Mischung ist.
MilchPur: Spielt eine Überversorgung mit bestimmten Elementen auch eine Rolle?
Dr. Räder: Ein Element, das bei der Überversorgung kritisch zu sehen ist, ist das Selen (Se). Hier kann schon eine toxische Grenze erreicht werden, wenn z.B. Boli, selenreiches Mineralfutter (≥ 50 mg Selen) sowie zusätzlich noch eine Selenspritze kombiniert werden. Sonst spielen eher die Imbalanzen eine Rolle. Durch die Überversorgung mit einem Element, z.B. Ca, weil noch 100 g Futterkalk zusätzlich gegeben werden, wird die Aufnahme von Spurenelementen an der Darmschranke behindert, z.B. Zn, Cu oder auch Mn. Sonst regelt die Darmschranke eine Überversorgung in weiten Bereichen herunter.
MilchPur: Gibt es Unterschiede zwischen Sommer und Winter?
Dr. Räder: Die Unterscheidung gilt eigentlich nicht so sehr zwischen Sommer und Winter, sondern eher zwischen unterschiedlichen Grundfuttermitteln in der Ration. Gras und Graskonserven unterscheiden sich nicht so sehr in ihren Mineralstoffgehalten wie Grassilage und Maissilage. Wenn keine betriebsspezifischen Grundfutteruntersuchungen vorliegen, können die Angaben der Hersteller herangezogen werden. Die oft gefürchteten hohen Sicherheitszuschläge sind so nicht gegeben.
MilchPur: Gerade im Sommer auf der Weide findet keine gezielte Einzeltierfütterung statt. Durch das Aufstellen von Leckschalen kann zwar die Versorgung sichergestellt werden, dennoch hat man keinen Überblick darüber, wie viel das einzelne Tier aufnimmt. Was empfehlen Sie Ihren Landwirten?
Dr. Räder: Vielleicht ist hier der Platz, um mit einer Begriffsverwirrung aufzuräumen. Leckschalen, Leckeimer oder -wannen bezeichnen für mich die Größe der Gebinde. Die vor 25 Jahren noch üblichen selbsthärtenden Leckschalen halte ich für nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Hochdruckverdichtete Produkte mit Vitaminen sind auch auf der Weide das Mittel der Wahl. Die Gebindegröße hängt von der Herdengröße ab sowie von der Möglichkeit, das Produkt vor Witterungseinflüssen auf der Weide zu schützen.
MilchPur: Für loses Mineralfutter gibt es gute Systeme für die Weide, die im Eigenbau erstellt werden können. Welche Unterschiede gibt es zwischen gepressten und losen Mineralfuttern?
Dr. Räder: Wenn das Angebotssystem gut ist, dann kann auch loses Mineralfutter gegeben werden. Hier sollte etwas auf die Schmackhaftigkeit geachtet werden. Viele Vorlagesysteme für loses Mineralfutter auf der Weide habe ich noch nicht gesehen. Oft haben die Landwirte schon Probleme Leckeimer gut anzubieten. Hier habe ich auch noch eine kleine Auslassung zum Zusammenhang von Mineralstoffversorgung und Fruchtbarkeit. Das wird oft erheblich überbewertet, es greifen viele andere Faktoren ins Fruchtbarkeitsgeschehen ein, sodass nur ein recht geringer Teil der Fruchtbarkeitsstörungen durch Mineralstoffmangel zu erklären ist.
Nur ein ein recht geringer Anteil an Fruchtbarkeitsstörungen ist auf Mineralstoffmangel zurückzuführen.
MilchPur: Es gibt auch die Möglichkeit, vor dem Weideauftrieb die Tiere mittels Boli zu versorgen. Dieser Bolus gibt die Mineralstoffe und Spurenelemente langsam ab und stellt so über mehrere Monate die Versorgung sicher. Was halten Sie davon?
Dr. Räder: Ich bin kein Freund der Boli. Ich bevorzuge es, wenn die Tiere freiwillig fressen. Boli sind in der Regel eine Zwangsgabe. Wenn man die notwendigen Mengen, beispielsweise für Ca in der Weidesaison, betrachtet, können sie nicht über den Bolus gegeben werden.
MilchPur: Gibt es Möglichkeiten mittels Blutuntersuchung, Defizite festzustellen?
Dr. Räder: Ja, auch die Haaranalyse ist eine Möglichkeit.
MilchPur: Schwefel spielt durch den reduzierten SO2-Ausstoß der Kraftwerke eine immer größere Rolle. Wie äußert sich der Schwefelmangel bei den Tieren?
Dr. Räder: Bei Schwefelmangel sind wir erst am Anfang, bis vor ein paar Jahren war mir selbst nicht klar, dass es das geben könnte. Vorerst ist Schwefelmangel in bestimmten Lagen in reinen Leguminosenbeständen nachgewiesen worden. Ob ein gemischter Dauergrünlandbestand überhaupt Schwefelmangel hat, ist noch nicht nachgewiesen. Dann kommen erst die Auswirkungen bei den Tieren. Da müssen noch einige Fragen geklärt werden. Hier sollte man keinen Scharlatanen nachlaufen, die vorgeben, alles über Schwefelmangel zu wissen und die richtige Lösung zu haben.
MilchPur: Gibt es Unterschiede zwischen Bio- und konventionellem Mineralfutter?
Dr. Räder: Bei Rindern nicht sehr viele, da die meisten mineralischen Komponenten bei beiden gleich sind. Es gibt eine Positivliste an Rohstoffen, die im biologischen Landbau zugelassen sind. Den großen Unterschied machen die organischen Komponenten, die müssen aus dem Biolandbau stammen. Wasserlösliche Vitamine haben im biologischen Landbau bei Wiederkäuern keine Zulassung. Hefestämme müssen ebenfalls für den Biolandbau zugelassen sein.
MilchPur: Welchen Ratschlag in punkto Mineralstoffversorgung möchten Sie den Landwirten mit auf dem Weg geben?
Dr. Räder: Mäßig, regelmäßig und nicht zu wenig.
MilchPur: Herr Dr. Räder, vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Günter Räder aus Obergünzburg/Ostallgäu hat nach seinem Studium der Agrarwissenschaften an der TU München in Weihenstephan im Bereich Tierernährung promoviert. Danach war er unter anderem als Geschäftsführer einer Absatzgenossenschaft für Trockengut tätig. Vor seiner Tätigkeit bei Bioland arbeitete er in der Futtermittelindustrie. Seit knapp einem Jahr ist er bei der Bioland-Beratung angestellt. In dieser Eigenschaft berät er Biolandbetriebe bei der Umstellung sowie im ökologischen Landbau und der Tierernährung/ Tierhaltung.