Doppelte Ampel – doppelte Sicherheit

1. Februar 2019

Die Wochen nach dem Abkalben sind die schwierigsten im Leben einer Kuh. Auch wenn es bei der Geburt keine Probleme gab, so sind die ersten 50 Tage von vielen Belastungen gekennzeichnet. Insbesondere erfordert die ansteigende Milchproduktion so viel Energie, dass die meisten Kühe an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen. Um auf noch mehr Informationen als bislang zurückgreifen zu können, wird ab 2019 jeder LKV-Betrieb nach jedem Probemelken für seine Kühe bis zum 50. Laktationstag zusätzlich eine „doppelte Ampel“ zur Verfügung haben. Was es damit auf sich hat, erklärt Dr. Christian Baumgartner.

Die Wochen vor und nach der Abkalbung sind für den Stoffwechsel sehr anspruchsvoll. Deshalb sollte immer wieder ein zusätzlicher Blick auf die Kuh geworfen werden.
©BLE, Bonn/Foto: Dominic Menzler

Wenn kurz nach dem Kalben die Milchleistung steil ansteigt, wird der Stoffwechsel massiv gefordert und nicht selten entgleist die Situation für die Kuh. Sie fühlt sich dann unwohl, ihre Leistung sinkt ab und letztlich kann sie ernsthaft erkranken. Wir sprechen von einer Energiestoffwechselstörung. Die Ketose ist eines der typischen und bekannten Krankheitsbilder dabei. Insgesamt sind die Verhältnisse aber kompliziert! Im Mittelpunkt steht die Fähigkeit der Leber genügend Energie bereit zu stellen. Je nachdem, wie gut dies gelingt, kann sich die Kuh an die Anforderungen anpassen und die Belastungen des Stoffwechsels kompensieren oder nicht.

Sind Kühe erst einmal erkrankt, dann sind die wirtschaftlichen Verluste bereits vorprogrammiert. Neben den direkten Kosten für die Behandlung entstehen wirtschaftliche Verluste, weil diese Kühe trotz bester Betreuung nicht mehr ihre volle Laktationsleistung erreichen. Sie erkranken häufiger an Folgeerscheinungen wie z.B. verschiedenen Klauenleiden oder ihre Fruchtbarkeit lässt zu wünschen übrig. Daher verwundert es nicht, dass Ansätze gesucht werden, wie mit möglichst geringem Aufwand Informationen über den Stoffwechselzustand der Kühe gewonnen werden und als Vorhersageinstrument genutzt werden können. Ziel ist es, möglichst früh einzugreifen und somit Verluste zu vermeiden.

Rote Ampel: Achtung Stoffwechselprobleme!
© pixabay.com

Die Idee der Stoffwechselampeln

Von jeder MLP-Milchprobe, die im Labor des Milchprüfrings untersucht wird, wird ein sogenanntes Infrarot-Absorptionsspektrum (IR-Spektrum) gemessen und abgespeichert. Aus diesem Spektrum werden die Inhaltsstoffe wie z.B. der Fett- und der Eiweißgehalt bestimmt. Dieses IR-Spektrum enthält aber darüber hinaus noch viele andere Informationen – wie ein virtueller „Fingerabdruck“ der Milch
– die für die Beurteilung der Stoffwechselsituation herangezogen werden können. Das LKV Bayern und der Milchprüfring haben deshalb 2014 ein gemeinsames Projekt gestartet, das die Grundlage dafür schaffen sollte, die in den IR-Spektren enthaltenen Informationen in praxistaugliche Informationen für den Milchkuhhalter umzuwandeln und zusätzliche Managementhilfen für die kritische Phase der ersten 50 Tage nach dem Abkalben anzubieten. Die Form der Ampel mit den möglichen Zuständen grün, gelb oder rot wurde gewählt um die Informationen auf einen Blick erfassbar und auf das Wesentliche reduziert darzustellen. Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat das Projekt als förderwürdig eingestuft und LKV und mpr mit 50 % der Kosten, insgesamt mit über 400.000 EUR bis Projektende im Dezember 2018 unterstützt.

Ampel 1 – die „Fett-Mobilisierungs-Ampel“

Gehen Kühe nach dem Abkalben in eine neue Laktation, steigt wie schon vorher dargelegt der Energiebedarf durch die Milchproduktion sehr stark an. Da dieser steigende Energiebedarf über die Futteraufnahme nicht gedeckt werden kann, muss Energie aus den körpereigenen Energiereserven, in erster Linie aus den Fettdepots, abgebaut und dem Stoffwechsel zur Verfügung gestellt werden.
Beim Abbau von Depotfett, das als Triglycerid (drei Fettsäuren gebunden an einem Glycerin-Molekül) vorliegt, werden die Fettsäuren vom Glycerin abgetrennt und es entstehen freie Fettsäuren, die im Stoffwechsel, v.a. in der Leber, abgebaut werden und dann als Energiequelle für die weitere Verarbeitung zur Verfügung stehen. Dieser Vorgang bzw. das Auftreten dieser freien Fettsäuren im Blutkreislauf wird durch Ampel 1 abgebildet. Die verwendeten statistischen Modelle errechnen aus den vorliegenden IR-Spektren und anderen Daten Wahrscheinlichkeiten, mit denen bei der betreffenden Kuh zum betreffenden Zeitpunkt die fragliche Stoffwechsellage vorliegt. Dabei ist es für die Praxis wichtig, dass die Beurteilung möglichst „richtig“ ist und keine Warnung über eine vermeintliche Stoffwechselerkrankung ausgesprochen wird, wenn es der Kuh gut geht. Das heißt, dass Fehlalarme tunlichst vermieden werden sollen.
Andererseits sollte eine kranke Kuh durch das Warnsystem nicht als gesund eingestuft werden, weil ansonsten an der „Sehschärfe“ des Systems gezweifelt werden würde. Das System sollte also eine akzeptable Sensitivität gegenüber der Stoffwechselerkrankung aufweisen.
Ampel 1 beruht auf der Konzentrationsbestimmung an freien Fettsäuren (FFS) im Blut, welche mittels der Infrarotspektroskopie der Milch berechnet werden können. Da die Konzentration an FFS im Wesentlichen vom Grad der Fettmobilisation und der Fähigkeit der Kuh zur Verwertung dieser freien Fettsäuren aus den Fettdepots abhängt, kann diese Ampel als Frühwarnsystem für sich anbahnende Probleme im Energiestoffwechsel gesehen werden.

Bei einer roten Ketose-Ampel treten infolge einer sehr starken Stoffwechselbelastung (erhebliche Ketonkörperbildung) deutliche Veränderungen in der Milch auf. Der Stoffwechsel der betroffenen Kuh ist enorm belastet, eine Ketoseerkrankung ist sehr wahrscheinlich oder bereits vorhanden. Eine Einleitung von Maßnahmen in Abstimmung mit dem bestandsbetreuenden Tierarzt wird empfohlen.

Bei Gelb gibt es in der Milch Hinweise auf einen erhöhten BHB-Wert oder einen veränderten FEQ-Wert in Richtung Ketose. Eine genaue Beobachtung dieser Tiere wird empfohlen.

Bei Grün sind keine Veränderungen in der Milch feststellbar, welche auf eine erhöhte BHB-Konzentration oder einen veränderten FEQ hinweisen. Es besteht kein Ketose-Risiko.

Ampel 2 –die „Ketose-Ampel“

Kann die im Stoffwechsel benötigte Energiemenge nicht über den regulären Abbau der Fettsäuren aus den Fettdepots bereitgestellt werden, so wird ein alternativer Stoffwechselweg beschritten, an dessen Ende sogenannte Ketonkörper stehen. Diese Ketonkörper (Aceton, Acetacetat und Beta-Hydroxy-Butyrat) können ebenfalls als Energiequelle dienen, haben aber bei höheren Konzentrationen negative Effekte auf das Tier, die man im Allgemeinen als Ketose bezeichnet: Appetitlosigkeit, Trägheit, Müdigkeit, Leistungsabfall bis hin zu dramatischen nervösen Symptomen, die lebensgefährlich für die Kuh werden können. Für die Berechnung dieser Ketose-Ampel wird vor allem der geschätzte Gehalt an Beta-Hydroxy-Butyrat (BHB) im Blut sowie der Fett-Eiweiß-Quotient (FEQ) in der Milch verwendet.

…und die Genauigkeit?

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die dargestellten Ampeln nur Wahrscheinlichkeiten für einen Stoffwechselzustand der beurteilten Kuh darstellen, keine Diagnosen im eigentlichen Sinn. Trotzdem zeigen die Ampeln auf einen Blick, wie es um den Stoffwechselzustand der Kuh aktuell bestellt ist. Steht die „Fett-Mobiliserungs-Ampel“ auf rot, so liegt bei 54 % der Kühe tatsächlich und bei 33 % der Kühe mit großer Wahrscheinlichkeit ein stark erhöhter Fettabbau vor. Die Kühe haben also ein erhöhtes Risiko, dass der Stoffwechsel „überdreht“ und die Anpassungsfähigkeit der Kühe überschritten wird. Steht die Ketose-Ampel auf rot, so sind (ausgehend von den Versuchsdaten) bei 70 % der Kühe entweder die BHB-Werte im Blut oder der Fett-Eiweiß-Quotient in der Milch erhöht. Bei 24 % der Tiere waren sogar beide Werte erhöht, sodass in 94 % der Fälle der Warnhinweis zu Recht ergeht. Bei einer grünen Ketose-Ampel liegt in 93 % der Fälle sicher keine Ketose vor. Eine „Entwarnung“ durch das System ist also ebenfalls sehr zuverlässig.

Wann geht es los?

Aktuell bereitet das LKV den Einsatz der Doppelampel für die Praxis vor. Testbetriebe können sich über ihren LOP für das System anmelden und bekommen dann für ihre Kühe die doppelte Ampel in einem gesonderten Bericht nach jedem Probemelken übermittelt. Zurzeit nehmen bereits gut 2.000 Betriebe diese Möglichkeit wahr. Nach Auswertung der Rückmeldungen und Erfahrungen soll in den ersten Monaten von 2019 die Information für alle Betriebe in der Milchleistungsprüfung zur Verfügung stehen. Schon heute deutet sich an, dass in den Ampeln auch wertvolle Informationen für die Zucht stecken. Eine erste Auswertung von Daten zeigt, dass es offenbar erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Töchtergruppen im Auftreten von Warnhinweisen und somit in der Anfälligkeit für Probleme im Energiestoffwechsel gibt. Eine züchterische Bearbeitung erscheint deshalb recht erfolgversprechend.

Fazit

Mit der neuen Doppelampel für Störungen im Energiestoffwechsel wird den bayerischen Milcherzeugern ab 2019 ein innovatives Instrument zur Herdenführung zur Verfügung stehen, das geeignet ist den Gesundheitszustand der Kühe hinsichtlich ihres Energiestoffwechsels zu beurteilen. Deuten sich Störungen an, ermöglicht das System ein frühzeitiges Eingreifen. Es besteht die gemeinsame Herausforderung für LKV und mpr, das System der Milchleistungsprüfung künftig so anzupassen, dass in der kritischen Phase bis zum 50. Laktationstag durch häufigere Einspeisung von Milchproben eine engere Überwachung der einzelnen Kühe möglich wird. Durch Verwertung der Daten in der Zucht wird es möglich werden, die Stoffwechselgesundheit auch in Zuchtprogrammen intensiver zu bearbeiten.

Was sind Infrarot-Absorptionsspektren?

Die Messtechnik, mit der heute im Hochdurchsatz von bis zu 600 Proben pro Stunde die Inhaltsstoffe der Milch bestimmt werden, nennt man Infrarot-Absorptionsspektroskopie, oder kurz IR-Spektroskopie. Infrarotlicht, also Licht langer Wellenlängen, wird dabei durch eine dünne Schicht der Milch geschickt und es wird gemessen, wie das Licht dabei abgeschwächt wird. Dies wird für mehr als tausend verschiedene Wellenlängen gemacht. Da das Licht je nach Wellenlänge ganz spezifisch von einzelnen Atombindungen der Milchinhaltsstoffe unterschiedlich abgeschwächt wird, das heißt dass Teile seiner Energie dabei absorbiert werden, kann man aus dem Muster dieser Absorption auf die Inhaltsstoffe zurückschließen.

Dies erfordert einerseits natürlich hochsensible Geräte- und Messtechnik sowie leistungsfähige Computer zur Verrechnung aller Daten. Andererseits braucht man zur Kalibrierung der Geräte Milch mit bekannten Inhaltsstoffen, deren Spektren man mit der gemessenen Milchprobe vergleichen kann und woraus man mit komplizierten statistischen Methoden die genauen Inhaltsstoffe der untersuchten Proben errechnen kann.

Wurden früher die IR-Spektren nach der Berechnung der Zielwerte (Fettgehalt, Eiweißgehalt usw.) wieder verworfen bzw. gelöscht, so werden die Spektren heute für jede einzelne Probe abgespeichert, weil sie – wie ein Fingerabdruck – die charakteristischen Eigenschaften der Milchprobe wiedergeben und weil man hofft, dass nicht nur die klassischen Inhaltsstoffe damit bestimmt werden können, sondern auch andere Eigenschaften der Milch; oder sogar bestimmte Eigenschaften der Kuh, die sich in der Milchzusammensetzung widerspiegeln.

Mit Hilfe der IR-Spektroskopie kann aus der MLP-Probe der Stoffwechselzustand der Kuh bestimmt werden.
© FOSS

Danksagung

Wir danken dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für die finanzielle Unterstützung des Projektes! Nur dadurch waren die umfangreichen Arbeiten zur Entwicklung dieses Frühwarnsystems möglich. Zudem geht ein großer Dank an die 26 Versuchsbetriebe für die Teilnahme am Projekt. Diese haben nicht nur ihre Tiere und die AMS-Daten für die Untersuchung zur Verfügung gestellt, sondern auch viel Zeit für den reibungslosen Ablauf investiert.

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