Bewegte Zeiten in der Milchwirtschaft

22. April 2024

Über neue Strategien für die Milchbranche wurde Ende März auf dem 14. Berliner Milchforum heftig diskutiert. Klimawandel, Kriegsfolgen und Bürokratie kennzeichnen aktuell den Markt.

Foto: Fleege

Zeitenwende in der Milchwirtschaft: Wie geht es weiter? Die heutige Zeit wird von vielen als Zeitenwende benannt, da sie von zahlreichen Herausforderungen und tiefgreifenden Veränderungen geprägt ist, wie Klimawandel, geopolitischen Umbrüchen und gesellschaftlichen Veränderungen, aber auch vom technologischen Fortschritt. Die deutsche Milchwirtschaft will sich auch in diesen anspruchsvollen Zeiten des Wandels bewähren, die Herausforderungen und Chancen für die gesamte Wertschöpfungskette mit sich bringen. Diese wurden auf dem 14. Berliner Milchforum diskutiert und herausgearbeitet. Am ersten Tag des Forums erörterten Im Rahmen einer Podiumsdiskussion Vertreter der politischen Parteien und Wirtschaft das Thema »Milchpolitik im Wahljahr 2024«. Am zweiten Tag standen die Themen Markt, Milchwirtschaft und Tierwohl, »Neues Essen« und Nachhaltigkeit auf der Agenda der Fachveranstaltung.

Die Podiumsdiskussion eröffnete Karsten Schmal, der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes. Nach seiner Meinung ist die aktuelle Lage der Milchwirtschaft von großer Unsicherheit geprägt. Auch wenn der Markt sich derzeit ruhig verhält, stehen vielfältige Herausforderungen an. Da sind vor allem die steigenden Anforderungen an Tierwohl und Klimaschutz genannt. Auch sich wandelnde Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher oder die schlichtweg überbordende Bürokratie erschweren das Wirtschaften. Die Frage nach der Zukunft hat sich noch nie so aufgedrängt wie derzeit, doch die Politik bleibt Antworten schuldig.

Die Statements bei der Podiumsdiskussion

Als dann die Teilnehmer der Podiumsdiskussion auf die Bühne traten, wurde es still im Saal. Moderator Matthias Schulze Steinmann, Chefredakteur von Top agrar, erörterte kurz die Situation der deutschen Milchwirtschaft, die sich in anspruchsvollen Zeiten bewähren musss und Perspektiven braucht. Nach seinen richtungsweisenden Worten stellte er die Teilnehmer der Diskussionsrunde aus Politik und Wirtschaft kurz vor. Sie gaben dann der Reihe nach ihr Statement zum gestellten Thema kurz ab und stellten sich der Diskussion.

Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin des Bundeministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): »Die Milchwirtschaft ist, gemessen am Produktionswert, weiterhin der bedeutendste Betriebszweig der deutschen Landwirtschaft. Dennoch machen schwankende Erzeugerpreise und eine hohe Kostenbelastung Milcherzeugern seit vielen Jahren zu schaffen. Das Bundesministerium will Erzeuger innerhalb der Lieferkette stärken und sie dabei unterstützen, stabilere Preise zu erzielen. Dafür wird das BMEL die nationale Anwendung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) auf den Weg bringen. Der Artikel bietet für den Sektor Milch und Milcherzeugnisse die Möglichkeit, eine Vertragspflicht national mit bestimmten Bestandteilen festzulegen, sodass auch in einem schriftlichen Vertrag Preise und Liefermengen geregelt sein müssen. Genossenschaftliche Molkereien sind von der Vertragspflicht ausgeschlossen, wenn deren Satzungen oder Lieferverordnungen Bestimmungen enthalten, die eine ähnliche Wirkung erzielen. Zudem will das Ministerium Qualitätsmärkte stärken und Absatzstrukturen diversifizieren. Für mehr Wirtschaftlichkeit bei der dauerhaften Grünlandnutzung entwickelt das BMEL im Auftrag der Bundesländer verschiedene Förderalternativen für intensiv genutztes Grünland mit Weidetierhaltung und setzt sich für eine zeitnahe Einführung ein. Um den Sektor zukunftsfest zu gestalten, werden auch die Forschungsaktivitäten zur Digitalisierung des Herdenmanagements, zur Verbesserung der Futtermittelbewertungssysteme für Rinder oder zum Thema nachhaltige Tierzucht vom Bund unterstützt.«

Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Baden-Württemberg: »Die Tierhaltung und insbesondere die Milchviehhaltung ist ein wesentlicher Grundpfeiler unserer bäuerlichen Landwirtschaft. Sie ist ein wesentliches Element für die Ernährungssicherheit und zum Erhalt der Biodiversität. Denn ohne die Weidetierhaltung und die damit verbundene Kreislaufwirtschaft wie wir sie in Baden-Württemberg haben, können wir auch keinen nachhaltigen Anbau von Obst und Gemüse garantieren. Ohne Milchvieh auf den Weiden werden wir keine Chance haben, unser Grünland nachhaltig offenzuhalten und damit einen wichtigen CO2-Speicher zu sichern. Für den Erhalt und die zukunftsfähige Gestaltung der Milchviehhaltungen ergreifen wir vielfältige Maßnahmen. Mehr Tierschutz und Tierwohl in der Nutztierhaltung sind erklärte Ziele, die das Land fördert, zum Beispiel den Umbau oder Neubau zukunftsfähiger Stallungen bei gleichzeitigem Erhalt kleinerer und zukunftsfähiger Milchviehbetriebe. Nur wenn wir den Landwirten eine Perspektive geben, sie bei der Umsetzung unterstützen und die Betriebe erhalten, werden wir iihnen dabei helfen können, gesellschaftliche Ziele zu erreichen.«

Wolfram Günther, Sächsischer Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft: »Die Milchwirtschaft braucht Zukunftsperspektiven, die eine wirtschaftliche Erzeugung mit Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Ansprüchen verbinden. Dabei setzt der Freistaat Sachsen auf die Stärkung der regionalen Wertschöpfung. Die Verbraucher achten zunehmend darauf, dass die erzeugten Lebensmittel einen regionalen Ursprung haben. Daraus ergeben sich auch für den Milchsektor Marktchancen. Regionale Wertschöpfung muss sich für alle Beteiligten an der Wertschöpfungskette ökonomisch lohnen. Staatliche Eingriffe in einen Markt sind dabei so weit wie möglich zu vermeiden.«

Daniela Schmitt, Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland -Pfalz: »Die deutsche Milchwirtschaft steht im Wandel. Sowohl die gesellschaftlichen Anforderungen als auch die ökonomischen Rahmenbedingungen verändern sich dynamisch. Es ist daher besonders wichtig, die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern und gleichzeitig den Bedürfnissen der Verbraucher sowie den ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden. Dabei ist es unerlässlich, faire Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Landwirten ermöglichen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dazu gehört, dass die Milchpreise marktorientiert sind, um den Landwirten ein angemessenes Einkommen zu garantieren, ohne dabei die freien Marktmechanismen zu behindern. Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchwirtschaft zu stärken, stellt die Förderung von Innovationen und Forschung einen Schlüsselaspekt dar. Durch Anreize für technologische Entwicklungen und differenziertere Produktionsmethoden, können wir die Branche fit für die Zukunft machen und gleichzeitig ökologische Nachhaltigkeit fördern. Es ist wichtig, Verbraucher über die verschiedenen Aspekte der Milchproduktion zu informieren, damit sie sachliche Entscheidungen treffen können. Im Wahljahr 2024 müssen wir die wichtigen politischen Weichen stellen, um eine dynamische und zukunftsorientierte Milchwirtschaft zu fördern. Dazu bedarf es eines konstruktiven Dialogs zwischen allen Akteuren der Branche, also Landwirten, Verarbeitern, Handel und Verbrauchern. Mit dem richtigen politischen Kurs und dem Engagement aller Beteiligten kann die Branche den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft erfolgreich begegnen.«

Hans Holtorf, Aufsichtsratsvorsitzender der frischli Milchwerke GmbH: »Deutscher Bauernverband, Deutscher Raiffeisenverband und Milchindustrie-Verband haben schon 2019 die ›Strategie 2030‹ entwickelt. Die Anforderungen an die Politik, oder konkret das BML, sind dort auch kommuniziert worden. Diese Anforderungen bilden auch heute den Kern unserer Wünsche an die Politik. Wir benötigen als Milchwirtschaft vom Milchererzeuger bis zur Molkerei langfristige Perspektiven und Regelungen. Die Milchwirtschaft wünscht sich langfristige Lösungen auch im Agrarbereich. Die soziale Marktwirtschaft ist das Zielbild. Dazu muss unser Staat die Rahmenbedingungen sicherstellen, nicht aber die Detailregelungen. Dieser Rahmen muss so sein, dass ein funktionierender Markt erhalten bleibt. Wir wünschen uns eine frühzeitige Einbeziehung in neue Projekte. Wir sind bereit, gemeinsam zu führen und Lösungen mitzugestalten. Eine ernsthafte Entbürokratisierung und Vereinfachung der Abläufe sind notwendig. Dies muss schon bei der Einführung von neuen Regelungen berücksichtigt werden.«

Benedikt Langemeyer, Vorsitzender im Milchausschuss, Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband: »Die Milch verdient wieder eine faire Debatte. Ihr hoher Wert als Nahrungsmittel für die gesunde Ernährung sowie als unverzichtbare Säule der Ernährungssicherung gehört in den Fokus. Die Politik ist dem Produkt und dem Sektor eine ganzheitliche Betrachtung schuldig, um fachgerechte Lösungen zu finden. Auf Verlässlichkeit wartet seit langem auch die Tierhaltung, während die Politikverdrossenheit unter Landwirten wächst. Es gilt, ihnen das Vertrauen in die Politik zurückzugeben, um Zukunftsperspektiven aufzuzeigen.«

Milchwirtschaft im Umbruch

Nach jedem Statement der Referenten stellte Moderator Matthias Schulze Steinmann Fragen bzw. verlas Online-Fragen oder forderte das Publikum im Saal auf, Fragen zu stellen. So entbrannten heiße Diskussion. Diese hier wiederzugeben, würde allerdings den Umfang des Beitrages sprengen. Das Resümee des Moderators altete: »Die deutsche Milchwirtschaft muss sich in anspruchsvollen Zeiten bewähren. Neue Nachfrage- und Nachhaltigkeitstrends stellen etablierte Geschäftsmodelle in Frage. Gestiegene Energiekosten und Zinsen schütteln die Märkte und den Wettbewerbsstandort Deutschland durch. Die Politik muss nach den Agardieselprotesten und im Wahljahr 2024 Farbe bekennen, wie sie Antworten auf die Herausforderungen der Betriebe liefern und Perspektiven aufzeigen kann. Das 14. Berliner Milchforum bot eine gute Gelegenheit, über den richtigen Kurs zu ringen. Die Zeitenwende in der Milchwirtschaft ist eingeläutet.«

Fritz Fleege

Beitrag teilen: |

Partner

Newsletter

Abonnieren Sie unsere Newsletter und bleiben Sie immer auf dem Laufenden, bei den Themen, die Sie interessieren!

Zur Anmeldung:

.embedded-sidebar { display: none; }