Ein herausforderndes Jahr der Pandemie – MIV zum Milchmarkt

20. April 2022

Alljährlich veranstaltet der Milchindustrie-Verband (MIV) am Rande der Internationalen Grünen Woche seinen Milchpolitischen Frühschoppen. Auch wenn 2022 aufgrund der Corona-Pandemie die Grüne Woche erneut nicht wie üblich stattfinden konnte, wollte der Verband den traditionellen Frühschoppen beibehalten. Noch vor dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine fand deshalb Ende Januar der Milchpolitische Frühschoppen digital statt.

Am 25. Januar fand in Berlin der Milchpolitische Frühschoppen 2022 inklusive der Podiumsdiskussion zum Thema „Vom Green Deal zur Farm-to-Fork-Strategie – wer zahlt die Zeche?“ als Online-Event statt. Foto: Nusser

Im Rahmen des Milchpolitischen Frühschoppens fand wie immer eine Podiumsdiskussion statt. Über allem schwebte der EU-Green-Deal sowie das Haltungsform-Wettrennen mit dem LEH. Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Vom Green Deal zu Farm-to-Fork – Und wer zahlt die Zeche?“ wurden dabei unterschiedliche Meinungen diskutiert. Patrick Liste vom Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe führte als Moderator durch die Veranstaltung.

Podiumsdiskussion

Das Ergebnis der Diskussion: Die Zeche zahlen müssen wird vor allem der Verbraucher. Denn die Anforderungen des Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie, die mehr Tierwohl und Klimaschutz fördern sollen, werden die Produktionskosten auf den Höfen deutlich steigern. Gleichwohl werden auch auf die Produzenten Veränderungen zukommen. Nicht nur aufgrund von Kostensteigerungen. Farm-to-Fork muss mit Folgestrategie hinterlegt werden, diese Meinung vertrat Dr. Andreas Christian Täuber, stellv. Leiter des Referates 521 Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Klimafolgen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Es könne nicht sein, dass die Landwirte die Zeche zahlen. Probleme müsse man deshalb rechtzeitig angehen. Auch Udo Hemmerling vom DBV Deutscher Bauernverband e.V. konnte dem zustimmen.

Farm-to-Fork sowie Klimaschutzziele werden Investitionen erfordern. Hinzu käme, dass in politischen Debatten – die oft nicht fachlich hergeleitet seien – der Fokus oft nur auf den CO2-Fußabdruck gelegt werde. Dabei schneiden tierische Produkte meistens schlechter ab, obwohl ihre Klimabilanz im Hinblick auf andere Faktoren wie z.B. Wasserverbrauch nicht zwingend schlechter ist. Viele Verbraucher sehen die Kuh infolgedessen immer noch als Klimakiller. Kasper Thormod Nielsen von Arla Foods Deutschland GmbH meinte dazu: „Klar ist, da muss was passieren. Wir versuchen schon viel, um das voranzutreiben, wir müssen was tun, aber das muss auch bezahlt werden. Denn billige Milch hat ihren Preis.“ Man müsse dafür aber auch die Kunden und Verbraucher mit ins Boot holen – ohne gehe es nicht.

Kritik an der EU äußerte Prof. Dr. Holger D. Thiele vom ife Institut für Ernährungswirtschaft in Kiel. Diese nehme zu wenig Bezug auf die aktuelle Studiengrundlage. Gerade Farm-to-Fork werde die Klimaziele nicht erreichen, da zu viele wichtige Faktoren wie illegale Landnutzung in Drittstaaten nicht berücksichtigt werden. Dass sich etwas ändern muss, der Meinung war auch Hans Vollnauer, Landwirt aus Bayern. Bisher galt die Devise: Den Letzten beißen die Hunde. Das war bisher der Bauer und das müsse sich ändern. Und das tut es gerade im Hinblick auf veränderte Gewohnheiten und Ernährungsweisen bereits. Künftig könnte das Ziel sein, etwas weniger Milch zu produzieren und dafür den Preis etwas zu erhöhen. Der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes Karsten Schmal fasste passend zusammen: „Tierwohl wird es nur geben, wenn mehr Geld auf die Höfe kommt.“

Milchmarkt 2021

Die Corona-Pandemie hat den Milchmarkt der vergangenen Jahre beeinflusst und ihn auch Anfang 2022 fest im Griff. Während die Produktpreise noch im Jahr 2020 teils nur das niedrige Preisniveau der Intervention erreichten, so erklommen diese Anfang 2022 lange nicht mehr erreichte Bestmarken bspw. für Magermilchpulver, Vollmilchpulver und Butter. „Die Volatilität trifft die Molkereien direkt, doch auch in anderen Märkten im vor- und nachgelagerten Bereich herrschen ähnliche dynamische Bedingungen“, sagt Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes (MIV), anlässlich der Pressekonferenz, die im Anschluss an den Milchpolitischen Frühschoppen stattfand.

Somit steigen Erlöse wie Kosten nicht nur bei den Molkereien, auch die Milcherzeuger sind durch hohe Futtermittel- oder Energiepreise stark betroffen. Für das Jahr 2021 rechnet die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Bonn mit einem durchschnittlichen Milchpreis von rund 36 ct/kg Rohmilch bei 4,0 % Fett ab Hof und damit rund 10 % mehr als im Vorjahr. „2022 erwarten wir steigende Milchpreise, die natürlich auch an die Verbraucher weitergereicht werden müssen. Angesichts der gestiegenen Erzeugungs- und Verarbeitungskosten ist ein ‚weiter so‘ der niedrigen Preise nicht zu kompensieren. Der Wert der Produkte und die Wertschätzung muss sich im Preis widerspiegeln“, sagt Stahl. Im Januar haben viele deutsche Molkereien 40 ct/kg gezahlt, andere Betriebe werden nachziehen. Die Auszahlungsleistung der einzelnen Molkereien hängt allerdings vom jeweiligen Produktportfolio und Kundenkreis ab. Je mehr Ware derzeit als Bulkware, also als Massengut in großen Einheiten, angeboten wird, desto höher tendieren die ausgezahlten Milchpreise. „Eine Entwicklung, die nicht gesund sein kann, wenn Rohstoffe mehr Wertschöpfung erzeugen als ein hochwertiges verarbeitetes Produkt“, warnt der Vorsitzende.

Erfolgsmotor im Jahr 2021 war wieder der Käsemarkt. Deutschland bleibt größter Käseproduzent in Europa, fast die Hälfte der deutschen Milch fließt in diesen Bereich. Mit der höheren Käseproduktion fiel auch erneut mehr Molke an, die zu hochwertigen Produkten wie Laktose und Molkenproteinen veredelt wurde. Schwächen zeigt der Markt für Frischeprodukte. Zu Beginn der Pandemie war die Nachfrage der privaten Haushalte nach haltbarer Trinkmilch sehr hoch, was sich im Laufe des Jahres 2021 abkühlte. Ein Aspekt dabei ist sicherlich der Absatzerfolg der veganen Getränke. Allerdings flachen die Steigerungsraten im Absatz der Drinks deutlich ab und die Preise sind gefallen.

Kosten steigen

In fast allen Bereichen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung sind die Kosten gestiegen. Insbesondere der Energiemarkt bereitet hier Sorgen und trifft auch die Zulieferindustrie wie die Hersteller von Verpackungen. Nicht immer ist die Verfügbarkeit der Bedarfsmittel und Ersatzteile für die Molkereien gewährleistet und es muss mit teils langen Lieferfristen gerechnet werden. „Aus zunächst teuer wurde knapp“, schätzt Peter Stahl die Situation ein. Dazu kommen weitere und mit Kosten verbundene Auflagen im Verpackungsrecht. Die Rezyklatquoten bei einzusetzenden Materialien steigen und die Pfandpflicht bei Kunststoffflaschen für das Jahr 2024 wird gerade vorbereitet. Die Gewerkschaften winken bereits mit hohen Tarifforderungen, die Inflation ist wieder da und stellt die Unternehmen vor enorme Herausforderungen.

Agrardialog gestartet

Der deutsche Handel und Teile der deutschen Landwirtschaftsverbände hatten sich im „Agrardialog“ zusammengefunden, um u.a. auch mit Vertretern der Milchindustrie Inhalte zu diskutieren. Derzeit liegen erste Entwürfe von möglichen Vereinbarungen beim Kartellamt zur kritischen Prüfung. „Wir glauben, dass der Dialog sehr wichtig ist, unabhängig von der Wahl der Plattform“, so Stahl. Die Milchindustrie ist für vernünftige Vorschläge immer offen und unterstützt jedes Bemühen zur Mehrung der Wertschöpfung bei den Erzeugern sowie in den Molkereien.

Neue Agrarpolitik

Die politischen Signale der neuen Bundesregierung deuten zu Beginn der Legislaturperiode auf viel Gestaltungswillen hin. Die Bundesminister Özdemir und Lemke haben bereits viele Reformen und zuletzt eine enge auch inhaltliche Zusammenarbeit der Ministerien Landwirtschaft und Umwelt angekündigt. Der Verband ist gespannt, wie die politischen Forderungen umgesetzt werden sollen und welche Auswirkungen hier für die Wertschöpfungskette Milch abzuleiten sind. Der MIV steht für einen zielgerichteten Austausch zu den verschiedenen Fragestellungen jederzeit zur Verfügung. Nicht zu vergessen sind die Regelungen im europäischen Wettbewerbsrecht, die gerade durch die Agrarreform 2023 noch bestätigt wurden. Die neue Farm-to-Fork-Strategie soll nun in Brüssel umgesetzt werden. Mit diesem Thema hatte sich der Milchpolitische Frühschoppen in Berlin beschäftigt. Die Experten waren sich einig, dass es vielleicht noch zu früh ist, alle Auswirkungen der Reformpakete bewerten zu können. Auf jeden Fall muss Brüssel die Milcherzeuger und Molkereien auf diesem schwierigen Weg der Umsetzung durch eine zielführende Politik begleiten, so der Verband.

Tierwohl – wichtiges Thema für Erzeuger und Molkereien

„Ein Mehr an Tierwohl ist wichtig und gewinnt auch beim Verbraucher zunehmend an Bedeutung“, unterstreicht Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes (MIV), die Position des Verbandes. Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel hat mit seinem System www.haltungsform.de nun auch den Milchmarkt in sein vierstufiges Kennzeichnungssystem für Handelsmarkenprodukte einbezogen.  Zunächst soll die Haltungskennzeichnung nach haltungsform.de im Markt für Konsummilch eingeführt werden. Erste Produkte liegen bereits in den Regalen des Handels. In Zukunft werden dann verschiedene Systemanbieter wie QM-Milch, DLG oder der Deutsche Tierschutzbund u. a. für das Label anerkannt und weitere Produkte mit haltungsform.de gekennzeichnet. Milcherzeuger und Molkereien stehen für eine Weiterentwicklung im Sinne des Tierwohls und sind bereit, hier auch zu investieren.
Der Milchindustrie-Verband vertritt die Molkereien und ist aktiv in der Weiterentwicklung von QM-Milch sowie durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in die Arbeit zum staatlichen Tierwohllabel eingebunden. „Eine große Herausforderung wird daher in Zukunft sein, wie eine Koexistenz der Wirtschaftsinitiativen und ein staatliches Tierwohllabel zusammenpassen werden, ohne Milcherzeuger und Vermarkter zu überfordern“, merkt der MIV-Vorsitzende an. Wie sich die Situation am Markt in den kommenden Wochen und Monaten auch in Hinblick auf den Krieg in der Ukraine entwicklelt, wird sich zeigen.

Stefanie Nusser

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