Tierwohl, Klimaschutz und andere Sorgen

3. Februar 2021

Tierwohl, Klimawandel und Umweltschutz werden öffentlich diskutiert. Der Lebensmitteleinzelhandel nutzt diese Themen intensiv, um sich möglichst vom Wettbewerb abzusetzen, und formuliert gegenüber ihren Lieferanten klare Forderungen an die Milcherzeugung. Tierschützer erhöhen über soziale Medien den Druck auf die Bauern. Was bedeutet das für die Landwirte? Wir haben uns darüber mit Johann Krautenbacher unteralten. Er war 46 Jahre in der Milchwirtschaft aktiv, darunter 25 Jahre als Leiter Rohstoffmanagement und Milcherzeugerbetreuung.

Ivan Karl Werner Sterk im Gespräch mit Johann Krautenbacher. (Fotos: sterk)

Milchpur: Herr Krautenbacher, viele Jahre verantwortlich für die Lieferantenbetreuung bei Bergader und Mitglied am runden Tisch in München, wie war denn Ihr beruflicher Werdegang?

Johann Krautenbacher: Meine berufliche Ausrichtung ist zunächst nicht in Richtung Landwirtschaft gelaufen. Ich habe bei der Firma Bergader eine Ausbildung zum Industriekaufmann durchlaufen und wurde dann 6 Jahre im Vertrieb eingesetzt. Nicht unbedingt geplant, sondern mehr zufällig bin ich dann in die Abteilung gekommen. die sich mit den Milcherzeugern beschäftigt hat. Die Arbeit mit den Landwirten, und den Kollegen in der Abteilung, hat mir immer mehr Spaß gemacht. Ich habe die Abteilung nicht mehr verlassen und war am Schluss 25 Jahre lang Abteilungsleiter für Rohstoffmanagement und Milcherzeugerbetreuung.

Milchpur: Sie waren in der Zeit auch politisch aktiv, waren Mitglied am „Runden Tisch“

Johann Krautenbacher: Genau dort war ich von Beginn an für 5 Jahre dabei, in der Arbeitsgruppe Rind. Diese Gruppe umfasste 15 – 20 Teilnehmer, rekrutiert aus der Landesanstalt für Landwirtschaft, dem Landwirtschaftsministerium, dem Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz und Tiergesundheitsdienst. Ebenfalls vertreten waren der Milchprüfring, die Zuchtverbände, der Bauernverband, die Schlachtunternehmen und die Molkereien Zott und Bergader. Eingeladen gewesen wären aber auch die Tierschutzverbände, die Kirchen, der Handel und der BDM. Von diesen vier Gruppen war aber an den Arbeitsgruppen Sitzungen gar nie einer dabei. Sie sind immer nur gekommen, wenn der Landwirtschaftsminister Brunner zur großen Runde geladen hat, wo dann die Arbeitsgruppen Rind, Schwein und Geflügel die Ergebnisse ihrer Arbeit vorgestellt haben.

Milchpur: Wer sind denn bei den aktuellen Tierwohl Diskussionen die treibenden Kräfte?

Johann Krautenbacher: Ich glaube dieses Thema wird schon in erster Linie vom Handel vorangetrieben, aber ganz sicher sind auch einige Molkereien recht aktiv, die sich dadurch im Wettbewerb abheben wollen. Als zum Beispiel 2010 die Auslobung Trinkmilch aus Laufstallbetrieben aufkam, haben einzelne Betriebe, mit der entsprechenden Lieferantenstruktur, schon fleißig an dem Rad zur Umsetzung dieser Auslobung gedreht. Damit werden gleichzeitig die restlichen Milchverarbeiter unter Druck gesetzt.

Milchpur: Welche Interessen stecken, außer der Profilierung, noch hinter dem Thema Tierwohl?

Johann Krautenbacher: Inzwischen handelt es sich schon um ein Thema, das von einer breiten Öffentlichkeit vorangetrieben wird. Man kann dieses Thema nicht umgehen. Tatsächlich gibt es heute Verbraucher, die zu dieser Thematik die Molkereien direkt ansprechen und sich über tatsächliche oder vermeintliche Missstände bei Landwirten beschweren. Natürlich ist da auch manchmal Unwissenheit über die Abläufe auf einem Bauernhof die Ursache. Wir hatten zum Beispiel eine Beschwerde über einen Milcherzeuger, der kniehoch braunes Futter im Stall liegen hatte. Wir sind der Sache sofort nachgegangen und haben frisch eingelegte Silage in bester Qualität vorgefunden. Einen Fall hatte ich, da hat eine Frau darauf bestanden, dass ich unbedingt mit zu einem unserer Lieferanten fahre, weil da total verschmutzte Kühe seien. Dort angekommen, der Landwirt hatte 100 Tiere, fanden wir einen blitzsauberen Stall vor mit ordentlich sauber eingestreuten Liegeboxen, schön sauberen Tieren und tatsächlich zwei Tieren, die hinten an den Schenkeln wirklich dreckig waren. Daraufhin haben wir mit dem Bauer gesprochen und der hat der Dame dann erklärt, dass er mit diesen beiden Kühen schon alles probiert habe, sie aber einfach nur mit der Vorderhälfte in der Liegebox liegen.

Milchpur: Beachtet die breite Masse der Milcherzeuger nicht auch ohne diese Diskussion das Wohl des Tieres, weil sie mit ihren Tieren selbstverständlich und aus eigenem Interesse ordentlich umgehen?

Johann Krautenbacher: Auf jeden Fall. Weil jeder Bauer, der sein Handwerk versteht weiß, dass er alles tun muss, damit seine Tiere sich wohlfühlen, weil nur dann eine entsprechende Milchleistung erzielt werden kann und das über viele Jahre. Dass es, wie in jeder Branche, mal ein schwarzes Schaf gibt, will ich nicht abstreiten. Für die große Mehrheit der Landwirte ist Tierwohl tägliche Arbeit. Fälle, wie sie kürzlich durch die Medien gehen, wo mit kranken Tieren sehr roh und ohne Mitgefühl umgegangen wurde, sind für mich die absolute Ausnahme.

„Wenn die Kuh in einem Anbindestand genug Platz hat, eine weiche Liegefläche, einen guten Luftaustausch, helle Räume, bestes Futter und Wasser sowie eine gute Betreuung, dann glaube ich, ist die Kuh nicht so unglücklich, wie manche Menschen das meinen.“

Milchpur: Was ist denn der Hauptkritikpunkt bei der Anbindehaltung?

Johann Krautenbacher: Hauptkritikpunkt ist, dass das Tier keine Bewegungsfreiheit hat. Wobei die Kuh ja grundsätzlich ein gemächliches Tier ist. Wenn es im Frühjahr zum ersten Mal auf die Weide geht, dann springt sie vielleicht einmal, aber ansonsten ist sie ganz gemütlich. Wir haben zum Beispiel zwischen Laufstall und Melkstand einen 70 m langen „Spaziergang“ für die Tiere. Diesen Weg legen die Kühe so zurück, dass man auf der Autobahn von stockendem Verkehr sprechen würde, wenn man mitgeht, schläft man fast ein. Schon vor 20 Jahren habe ich einen Vortrag von Prof. Dr. Grauvogel gehört, der sich mit Fressliegeboxen beschäftigt hat. Seine Aussage war, dass die Kuh, wenn sie Wasser, Futter und die Liegefläche ganz beieinanderhat, sich fast nicht mehr von der Stelle bewegt hat, obwohl sie die Freiheit dazu hatte. Was mir selbst auch nicht so bewusst war, das habe ich erst erleben können, nachdem mein Sohn einen Laufstall gebaut hat, bei dem die Tore zur Weide immer Tag und Nacht weit offenstehen, sich die Kühe aber die meiste Zeit im Stall aufhalten. Im Sommer, wenn es heiß ist, sehen Sie gar keine Kuh auf der Weide – höchstens in der Nacht gehen sie vereinzelt raus. Aber nun speziell zum Anbindestall. Wenn die Kuh in einem Anbindestand genug Platz hat, eine weiche Liegefläche, einen guten Luftaustausch, helle Räume, bestes Futter und Wasser sowie eine gute Betreuung, dann glaube ich, ist die Kuh nicht so unglücklich, wie manche Menschen das meinen.

Milchpur: Wenn Verbraucher über Fluch und Segen der Milcherzeuger sprechen, wie fundiert sind denn deren Kenntnisse über die landwirtschaftlichen Prozesse aus Ihrer Sicht?

Johann Krautenbacher: Das ist eine wichtige Frage. Da kann man nur sagen: erschreckend niedrig. Ich habe zum Beispiel Anrufe bekommen, ob wir auch Milch von Betrieben mit Massentierhaltung abholen. Auf meine Nachfrage, was damit gemeint ist, blieb eine Antwort oder gar Erklärung aus. Eine Verbraucherin hat mir ein Bild von einem Laufstallbetrieb geschickt, auf dem 30 Tiere nebeneinander beim Fressen stehen und hat dazu die Frage gestellt, ob wir diese Massentierhaltung unterstützen. Auf einem anderen Bild wurden Kühe gezeigt, die vor dem Melkstand anstehen, ebenfalls versehen mit dem Kommentar „Massentierhaltung“. Da frage ich mich, ist denn das in München auf dem U-Bahnsteig zur Feierabendzeit dann „Massenmenschenhaltung“? Mit ganz wenig Hintergrund werden Schlagworte verwendet, und damit auch Stimmung gemacht. Was das Verbraucherwissen über die Milcherzeugung anbelangt – das ist in den ländlichen Gebieten sicher etwas besser – kann man nur sagen: „Die Kuh ist lila!“

Johann Krautenbacher im Laufstall am Hof seines Sohns.

Milchpur: Woher kommt, nach Ihrer Ansicht, die Ansicht vieler Konsumenten, dass es den Tieren, auch in modernen Stallungen, nicht wirklich gut geht?

Johann Krautenbacher: Das kann ich mir überhaupt nicht erklären, da würde vielleicht helfen, dass man bevor man wertende Aussagen trifft, sich ganz einfach einmal so eine Stallung anschauen sollte. Überhaupt würde es helfen Vorurteile abzubauen, wenn die Menschen sich über die Abläufe in der Landwirtschaft besser informieren würden. Allerdings muss ich auch sagen, wir, die Molkereibetriebe und die Interessenvertretungen der Landwirte, müssen den vielen kursierenden „Fake News“ auch aktiv echte Fakten entgegenstellen. „Tue Gutes und rede darüber“, heißt eine alte Weisheit. Unsere Milchverarbeitungsbetriebe und die Milcherzeuger machen eine so gute Arbeit, dass man gut offensiv darüber reden kann. Natürlich muss der Berufstand selbst mit offenen Augen genau hinschauen und die vorher angesprochenen vereinzelten Ausnahmen auch zur Rede stellen. Wir sollten uns nicht darüber aufregen, dass zu viel kontrolliert wird, sondern unsere Energie darauf verwenden, dafür zu sorgen, dass die Prüfer mit einem o.k. nach der Prüfung die Höfe wieder verlassen.

Milchpur: Ihr Geschäft war Leben mit und für die Milch, Nebenerwerbslandwirt, Rohstoffmanager und heute Vater eines jungen Bauern der in die Milch investiert hat. Was kommt auf die Milcherzeuger künftig zu, wenn Sie an die besprochenen Themen denken und die Veganisierung noch dazu packen?

Johann Krautenbacher: Vegan ist sicher eine gewisse Gefahr. Vegan würde letztendlich sogar das Ende von Demeter bedeuten. Insgesamt glaube ich, dass natürlich die Herausforderungen aus dem Bereich Klima und Umwelt von den Landwirten intelligentes und vorausschauendes Wirtschaften abverlangen werden. Andererseits müssen die Verordnungsgeber und Verbände auch darauf achten, dass sie die Milcherzeuger nicht über Gebühr belasten. Nehmen wir QM-Milch. Da gibt es zusätzlich ein Modul zur Nachhaltigkeit, das aber bislang nur manche Molkereien von ihren Lieferanten verlangen. Da tauchen Fragen auf wie: Wie lange sind die Gräben auf dem Hof? – Wieviel qm hat der eventuell vorhandene Tümpel? – Wie breit und wie lang sind die Hecken? – Wie oft fährt die Familie in Urlaub? – Wie ist die Eigenkapitalbildung in den letzten drei Jahren? usw… Welcher Unternehmer aus anderen Branchen muss sich von seinen Abnehmern so abfragen lassen? Damit werden die Landwirte nur unnötig genervt.

ivan karl werner sterk

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